1229: Sagenhafte Musliminnen im Mittelalter Teil 2: Melechsala

von | 2022 | Muslimische Spur

Zwischen dem ersten Kontakt mit Muslimen 777 und der ersten urkundlichen Erwähnung eines in Deutschland lebenden Muslims 1304 gibt es bisher wenig offizielle Belege. Man ist auf Spuren in Sagen und Ortsbezeichnungen angewiesen, die die Existenz dieser Muslime zumindest andeuten. 

Eine der bekanntesten Thüringer Sagen, die später auch von den Gebrüdern Grimm in ihre Märchensammlung aufgenommen wurde, ist die Geschichte der Sultanstochter Melechsala.

Melechsala soll eine Tochter des ayyubidischen Sultans Al-Kamil während des Kreuzzuges von Friedrich II. von Staufen (1228/1229) gewesen sein. Bei den Kontakten zwischen den Kontrahenten lernt Melechsala im Gefolge des Kaisers den thüringischen Grafen Ernst von Gleichen kennen und verliebt sich in ihn. 

Obwohl der Graf schon verheiratet ist, heiratet sie ihn und flieht mit ihm in seine Heimat. Auf dem Weg nach Hause gehen sie jedoch zuerst zum Papst in Rom, der Melechsala auf den Namen Angelika tauft und dem Grafen die Erlaubnis gibt, mit zwei Frauen verheiratet zu sein. 

Bei seiner Rückkehr preist der Graf seine zweite Frau, ohne die er nicht gerettet worden wäre und ohne die seine Frau und seine Kinder ohne Mann und Vater wären. 

Die erste Begegnung von Ottilie von Gleichen und Melechsala alias Angelika verläuft daher sehr positiv. Die beiden Frauen umarmen sich herzlich und leben fortan als gute Freundinnen. 

An die erste Begegnung der beiden Frauen am Fuße der Burg Gleichen erinnert bis heute der Name Freudenthal. Die Begegnung wurde auch auf verschiedenen Bildern festgehalten. Das bekannteste Gemälde dieser Begegnung stammt von Moritz von Schwind (1804 – 1871) aus dem Jahr 1864. 

Der „zweibeweibte Graf“ hat die Phantasie vieler Dichter und Maler beflügelt. Das Motiv findet sich in Balladen, Gedichten, Romanen, aber auch in Opern und seit 2006 sogar in einem Musical wieder. 

Die meisten Ausschmückungen der Sage sind allerdings rein erfunden. Weder gab es eine Sultanstochter Melechsala, noch den Grafen Ernst in dieser Zeit.  

Auch eine Gefangenschaft von Ernst während des 5. Kreuzzugs ist sehr unwahrscheinlich. Friedrich II. gelang es auf diesem Kreuzzug Blutvergießen zu vermeiden und nur durch Verhandlungen den Zugang nach Jerusalem für Pilger durchzusetzen. 

Die im Dom zu Erfurt befindliche Grabplatte eines Grafen mit seinen zwei Frauen (eine zur rechten und eine zur linken) ist wohl auch nicht der Beweis der Sage. Sigismund von Gleichen (gest. 1492) hatte beispielsweise ebenfalls zwei Frauen, allerdings durch Wiederverheiratung nach dem Tod seiner ersten Frau. Es kommen aber auch noch andere Grafen für die Grabplatte infrage. 

Die Sage von Melechsala wird 1539 bekannt, als Phillip I. von Hessen eine zweite Frau (Margarethe von Saale) ehelichte. Da die Trauung von einem protestantischen Pfarrer durchgeführt wurde, war diese “Nebenehe” ein Skandal in der jungen protestantischen Gemeinde. Phillip von Hessen wendet sich daher an Luther und berichtet von dem „Präzedenzfall“ der Melechsala und dem „zweibeweibten“ Grafen, die ja selbst vom Papst eine Erlaubnis erhalten hätten. Luther erteilt zwar keine offizielle Erlaubnis, unternimmt aber auch nichts gegen diese Zweitehe und schweigt. 

Nachdem ein Großteil der Sage wohl erfunden und übertrieben ist, könnte doch ein gewisser Teil auf wahren Ereignissen beruhen. Seit der Eroberung Jerusalems aus dem ersten Kreuzzug 1099 und der Gründung der Kreuzfahrerstaaten hat es gemischte Ehen zwischen Europäern und „Orientalen“ gegeben. Nicht wenige dieser Frauen mögen auch ihren Mann in seine Heimat begleitet haben. 

Es gibt einen vergleichbaren Fall aus der Zeit der Türkenkriege. Hier handelt es sich um den Thüringer Junker Hans von Brandenstein. 1525 geriet er als Page König Franz I. in der Schlacht von Pavia in türkische Gefangenschaft. Nach drei Jahren Inhaftierung soll ihn der türkische Heerführer Ibrahim in seine Dienste genommen haben. 

Auch hier erzählt die Sage, dass ihm eine vornehme Türkin namens Zuleika zur Freiheit verhalf. 

Auf einem Schiff entkam er mit ihr und kehrte 1545 in die Heimat zurück. Hier führte er dann mit dem Einverständnis seiner Gemahlin Helene von Stein und mit päpstlicher Bewilligung eine Doppelehe. Sein neu erbauter Stammsitz erhält den Spitznamen „Der Türkenhof“. Bis heute existiert ein Gebäude des Anwesens, in dem sich das Rathaus der Gemeinde befindet. Zuleika soll jedoch bald nach ihrer Ankunft gestorben sein. 

Ein Beweis für diese zweite Geschichte ist die heute noch lesbare Inschrift am „Türkenhof“: 

ICH! HNS V BRAN HABE DIS  
HAVS GEBAVET MIT GOTES H  
UND BIN XVI IAR INDER TYRKEY GEW  
VND ZV VNDER NEAPO III IAR IM TORGE  
(Ich Hans von Brandenstein habe dieses Haus gebaut mit Gottes Hilfe und bin 16 Jahre in der Türkei gewesen und (habe) zu Unter-Neapolis 3 Jahre im Turm gesessen). 

Mit Neapolis wurde damals die Neustadt von Istanbul bezeichnet. Heute befindet sich dort der Stadtteil Galata mit seinem berühmten Turm. 

 

Zum Weiterlesen: 

Musäus, Johann Karl August/Wiedemann, Melechsala, Märchen aus der Zeit der Kreuzzüge. Dresden 1873 

Online unter: https://leopard.tu-braunschweig.de/receive/dbbs_mods_00051213 

Jutta Assel und Georg Jäger, Graf von Gleichen und seine Doppelehe auf Goethezeitportal online: http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=6355 

Dr. Seffen Raßloff, Die Sage vom Grafen von Gleichen, aus Erfurt-web online: http://www.erfurt-web.de/Graf_von_Gleichen_Sage 

 Der Türkenhof, auf Oppurg.de, online: https://www.vg-oppurg.de/de/der-tuerkenhof.html 

Bildnachweis:

Moritz von Schwind: Die Rückkehr des Grafen von Gleichen, Gemälde von 1864

public domain by Wiki Commons

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Schwind_Die_R%C3%BCckkehr_des_Grafen_von_Gleichen.jpg

Stichworte/Glossar: 

Ayyubiden 

Die Ayyubiden waren eine sunnitisch-kurdische Dynastie, die von 1171 – 1254 in Ägypten herrschte. Bekanntester Herrscher der Ayyubiden war Saladin, der zunächst als Wesir unter den Fatimiden diente und dann 1171 die Macht übernahm.