Der Beginn der Reformation Martin Luthers fällt in die Zeit der Türkenkriege. Dies mag eine Erklärung sein, warum Karl V. auf dem Reichstag in Worms und in den folgenden Jahren nicht entschiedener gegen den Reformator vorgeht.
Der katholische Kaiser war auf die Solidarität aller Fürsten angewiesen, also auch auf derjenigen, die Luther unterstützten. Und es fällt auf, dass jeder Schritt hin zur Akzeptanz der Protestanten von einer Bedrohung durch das osmanische Heer begleitet wird.
Das Speyrer Edikt 1529, das den Protestanten die freie Wahl des Glaubens (vorerst) zusicherte, fällt zusammen mit der Belagerung Wiens durch die Türken, der Reichstag von Regensburg 1541, mit der Tolerierung der protestantischen Stände, mit dem Fall von Ofen (Budapest) und nach weiteren Rückschlägen gegen die Osmanen erfolgte schließlich 1555 der Augsburger Religionsfriede, der dauerhafte Glaubensfreiheit zusicherte.
Die Solidarität der protestantischen Fürsten in der Abwehr der Türken scheint also bei der Akzeptanz ihres Glaubens eine gewisse Rolle gespielt zu haben.
Martin Luther selbst ließ anfangs durchaus Sympathien mit dem Islam erkennen.
Er sieht die Bedrohung durch die Türken, wie er die Osmanen nennt, zunächst als Strafe Gottes. Die Strafe dafür, dass sich die „Papisten“ (das katholische Christentum) vom wahren Glauben entfernt hätten.
Die „Türkengefahr“ war für ihn ein Beweis für den Reformbedarf des Christentums.
Theologisch bewertet er die Türken sogar als den Katholiken überlegen. Er schreibt: „Die Türken büßen glaubhafter, die Türken sind in ihren asketischen Leistungen viel überzeugender, sie sind in Hinblick auf das Ordenswesen, die Askese viel eindrücklicher. Also sie sind im Grunde die besseren Katholiken. Im Sinne einer durch Werke, durch religiöse Leistungen gekennzeichneten Religion.“
An anderer Stelle schreibt er: „Sie trinken nicht Wein, saufen und fressen nicht so, wie wir es tun, kleiden sich nicht so leichtfertig und fröhlich, bauen nicht so prächtig, prahlen auch nicht so.“ Und zum muslimischen Gottesdienst: „Zum anderen wirst Du auch finden, dass sie in ihren Kirchen oft zum Gebet zusammenkommen und mit solcher Zucht, Stille und schönen äußerlichen Gebärden beten, wie bei uns in unseren Kirchen solche Zucht und Stille nirgends zu finden ist.“
Wenn man die Türken als „Strafe Gottes“ einordnet, dürfe man sich nicht gegen Gottes Willen stellen und die Türken bekämpfen, überlegt er in einer Erläuterung zu seinen 95 Thesen. Dies wird von seinen Gegnern sofort gegen ihn verwendet.
Luther nimmt dies zum Anlass sich intensiver mit der Reaktion auf die „Türkengefahr“ auseinander zu setzen und schreibt eine Reihe von sogenannten „Türkenschriften”.
Dies sind: „Vom Kriege wider die Türcken“ (1528), „Eine Heerpredigt wider die Türcken“ (1530) und „Vermahnung zum Gebet wider die Türcken“ (1541).
Hierin nimmt er Bezug auf die „zwei Reiche Lehre“, also der Trennung zwischen weltlicher und religiöser Verantwortung. Er lehnt das Aufleben einer „Kreuzzugsideologie“ ab. Einen Krieg im Namen Gottes gegen die Türken hält er nicht für zulässig. Er ist allerdings kein Pazifist und befürwortet die Solidarität mit den weltlichen Fürsten und die Notwendigkeit gegen einen vordringenden Feind zu kämpfen.
In der „Heerpredigt“ schreibt er im Original: „Sondern so hab ich geraten und rate noch also, das wol ein iglicher sich befleissigen sol ein Christen zu sein, willig und bereit zu leiden vom Tuercken und yderman, Aber solle nicht streiten als ein Christen odder unter eins Christen namen, Sondern las deinen Welltlichen oeberherrn kriegen.“ In neuerem Deutsch heißt dies sinngemäß: So habe ich geraten und tue es immer noch, dass jeder Christ sich bemühen soll, Türken oder jedermann friedlich zu ertragen (als Buße hinzunehmen). Er soll weder als Christ noch im Namen des Christentums Krieg führen. Sondern das Führen eines Krieges seinem weltlichen Oberhaupt überlassen.
Nachdem er sich eindeutig auf die Seite der Fürsten bezüglich des militärischen Vorgehens gestellt hatte, setzte er sich aber auch theologisch intensiver mit dem Islam auseinander.
Hier ist er stark noch in der mittelalterlichen Haltung europäischer Geistlicher verfangen. Der Islam ist für ihn eine Mischung aus einer frühchristlichen Sekte und dem Judentum. Er sei eine Häresie, also Irrlehre, die gerade, weil sie in der Art ihrer Ausübung durchaus Qualitäten habe, besonders gefährlich für das Christentum sei.
Er weiß zwar, dass Muslime Christus als Propheten anerkennen, aber die Leugnung der Göttlichkeit Jesu sei ein Beweis, dass der Koran voller Lügen sei. Um diese Lügen zu entlarven, setzt er sich 1541 für die Neuauflage einer älteren Übersetzung des Koran ins Lateinische ein. Er schreibt sogar das Vorwort für diese durch Theodor Bibliander bearbeiteten Übersetzung und schlägt vor, sie auch auf Deutsch zu übersetzen. So schreibt er: „Darum sehe ich es als nützlich und notwendig an, dieses Büchlein zu verdeutschen, dass doch bei uns Deutschen auch erkannt werde, was für ein schändlicher Glaube des Muhammads Glaube ist, damit wir gestärkt werden in unserem christlichen Glauben.“
Manche seiner Äußerungen über den Islam in den „Türkenschriften“, insbesondere wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden, müssen heute sehr kritisch gesehen werden. Religiöse Polemik, das mangelnde Wissen in seiner Zeit und zahlreiche Vorurteile trüben hier Luthers Bild.
Man muss aber auch festhalten, dass es Luther weder um einen Dialog mit dem Islam oder die Missionierung von Muslimen ging. Er richtet sich ausschließlich an Christen.
Es geht ihm mehr darum, sich innerhalb des Christentums zu positionieren und sich sowohl vom Katholizismus wie von anderen Formen des Protestantismus abzugrenzen.
Die „Türkenfrage“ bei Luther ist daher eher ein Mittel, das Profil des eigenen Glaubens zu schärfen.
Wenn auch der Islam sicherlich nicht ursächlich mit der deutschen Reformation zusammenhängt, kann man etwas zugespitzt feststellen, dass ohne die Bedrohung durch die Osmanen die Reformation nicht so früh so erfolgreich gewesen wäre.
Die Klarheit mit der Luther Gewalt im Namen von Religion ablehnt und seine Aussagen, dass aus einem weltlichen Konflikt kein Krieg zwischen Religionen entstehen darf, sind ebenfalls Lehren, die heute noch von Bedeutung sind.
Zum Weiterlesen:
Marcus Meer, Martin Luther zum Islam – Ein frühneuzeitlicher Beitrag zur Toleranzdiskussion der Gegenwart? Bielefeld 2013 https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/nachrichten/studierendenwettbewerb-2013-arbeit-meer.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Thomas Kaufmann, Luthers Sicht auf Judentum und Islam.
Johannes Ehrmann, Luther, Türken und Islam: eine Untersuchung zum Türken- und Islambild Martin Luthers (1515-1546), Gütersloh 2008
Christian Brauner und Sita Steckel, Wie die Heiden – wie die Papisten. Religiöse Polemik und Vergleiche vom Hochmittelalter bis zur Konfessionalisierung, in Mathias Pohlig (Hrsg), Christen, Juden und Muslime im Zeitalter der Reformation, Gütersloh, 2019
Stephen A. Fischer-Galati, Ottoman Imperialism and German Protestantism 1521—1555, 1955
https://www.osmanischesreich.de/geschichte/16-17-jahrhundert/t%C3%BCrkengefahr-t%C3%BCrkennot-ii/
Bildnachweis:
Titelbild der Schrift „Vom kriege Widder die Türken“ von Martin Luther, 1528
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Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt — Ib 3805 (4)
Stichworte/Glossar:
Türkenkriege
Als Türkenkriege werde kriegerische Auseinandersetzungen zwischen dem Osmanischen Reich und Staaten Mitteleuropas bezeichnet. Sie zogen sich vom 15. Bis ins 19. Jahrhundert. Höhepunkte waren der 1. Österreichisch-Türkische Krieg 1526 – 1562 und der Große Türkenkrieg 1683 – 1699, bei denen die Osmanen jeweils vor Wien standen und zurückgeschlagen wurden.