1840: Synagogen im neo-maurischen Stil

von | 2023 | Muslimische Spur

Eine Besonderheit innerhalb der orientalisch inspirierten Bauwerke des 19. Jahrhunderts stellen Synagogen dar. 

Die rechtliche Gleichstellung von Juden (auch bekannt als “Judenemanzipation”) begann 1791 in Folge der Französischen Revolution und wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schrittweise auch in deutschen Ländern eingeführt. 

Hiermit verbunden war auch die Möglichkeit, die jüdischen Gotteshäuser sichtbarer zu machen und ihre Funktion auch nach außen zu zeigen. Bisher glichen Synagogen eher Wohnhäusern und waren von außen wenig erkennbar. Allenfalls Fenster mit maurischen Hufeisenbögen wiesen auf einen anderen Charakter des Gebäudes hin. 

Konkrete Vorbilder für eine eigenständige jüdische Sakralarchitektur in Deutschland gab es nicht. Die Freiheit sich ab dem 19. Jahrhundert auch architektonisch auszudrücken, warf daher die Frage auf, in welchem Stil neue Synagogen gebaut werden sollten.  

Eine Ausrichtung im Sinne der Neo-Gotik kam aufgrund der Ähnlichkeit zu christlichen Kirchen nicht in Frage, die neo-romanische Bauweise verwies auf das Mittelalter, konnte aber durch leichte Verfremdungen leichter von Kirchen unterschieden werden und galt als Bezug zur Identifikation mit der deutschen Geschichte als gute Alternative.  

Schließlich kam noch der “neo-maurische” Stil in Frage. Dieser schien aufgrund eines “Heimat-Bezugs”, also der Herkunft des Judentums aus dem Orient, nahezuliegen. Ob dieses architektonische Bekenntnis zu einer “fremden” Herkunft angemessen sei, war jedoch bei Juden umstritten. Auch Antisemiten werteten den Bezug zu maurischer Architektur in deutschen Synagogen als Beweis für mangelnde Integrationsfähigkeit. 

Zur gleichen Zeit gab es eine Bewegung innerhalb des liberalen “Reformjudentums”, die das Judentum vom Ballast orientalischer Traditionen befreien wollte. Jüdische Orientalisten entdeckten aber gerade im Islam eine (auch für das Judentum) vorbildliche Ausrichtung von Religion auf Vernunft und wollten das Judentum in diesem Sinne reformieren. Auf den ersten Blick paradox, war eine Beschäftigung mit dem Islam auch ein Beitrag dazu, das Judentum zu “ent-orientalisieren”.  

Innerhalb des liberalen Judentums wurde der Bezug auf eine muslimisch-jüdische Tradition also nicht automatisch als konservativ-traditionalistisch gesehen, sondern konnte durchaus modern verstanden werden. Ein Ausdruck für selbstbewusste Eigenständigkeit. 

Hauptargument für den maurischen Stil war der Hinweis auf eine Blütezeit des Judentums unter der Herrschaft der Muslime in Andalusien. Eine Phase europäischer Geschichte, in der Muslime, Juden und Christen friedlich zusammenlebten, schien ein gutes Vorbild für ein modernes und integriertes Judentum auch in Deutschland zu sein. Der deutsche Architekt Julius Franz verweist in seinem Standardwerk über “Die Baukunst des Islam” (1896) auch auf die Existenz eines eigenständigen jüdisch-arabischen Stils in Spanien. 

Letztlich entscheiden sich die meisten der im 19. Jahrhundert erbauten Synagogen für einen Kompromiss zwischen europäischen und orientalischen Stilen. Beides wurde integriert und den jeweiligen Schwerpunkt setzte jede Gemeinde für sich individuell, je nachdem wie „deutsch“ oder wie „orientalisch“, wie angepasst oder wie selbstbewusst eigenständig sie sich darstellen wollte. 

Die Diskussion über Synagogen im 19. Jahrhundert weist interessante Parallelen auf zur Diskussion über Moscheebauten im 20. und 21. Jahrhundert. Auch heute noch geht es um ähnliche Fragen und auch heute noch sollte man mit vorschnellen Zuschreibungen vorsichtig sein. Denn das, was damals entstanden ist und was heute entsteht ist keine Architektur von Fremden, sondern Ausdruck einer Individualität von deutschen Bürgern, die sich in unterschiedlicher Weise mit ihrer Religion auseinandersetzen. 

So ist es auch nicht erstaunlich, dass es einer der bekanntesten Architekten des 19. Jahrhunderts ist, der mit dem Bau der ersten Synagoge in Dresden (nach der rechtlichen Gleichstellung in Sachsen 1837) beauftragt wird: Gottfried Semper. 

Die von ihm entworfene und 1840 erbaute Synagoge war stilprägend für zahlreiche weitere Gotteshäuser. Ein Beispiel deutscher Architektur und eine eigenständige Mischung aus neo-romanisch und neo-maurisch. 

Die Synagoge entsprach von außen dem eher neo-romanischen Stil und bekannte sich zur deutschen Geschichte, von innen war sie in ihrer Gliederung, Dekoration und Einrichtung komplett nach orientalischen Vorbildern gestaltet.  

Semper wählt jedoch anders als im orientalischen Stil üblich keine vielfarbige Ausstattung, sondern eher dunkle und gedeckte Farben. Es dominieren Holz, schwarze Steine und leuchtendes blau. So hofft er dem sakralen Anspruch des Gebäudes gerecht zu werden. 

Da die Dresdner Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 komplett zerstört wurde, verweisen unsere Bilder auf ein weiteres Gotteshaus, das zumindest in Teilen noch vorhanden ist, die Neue Synagoge in Berlin. 

Die Neue Synagoge an der Oranienburger Straße wurde 1866 gebaut und war mit 3.200 Sitzplätzen die größte Synagoge Deutschlands.  

Sie stand für modernste Bautechniken. Nur 11 Jahre später war sie das erste öffentliche Bauwerk Berlins, das elektrisch beleuchtet wurde. Sie war ein selbstbewusstes Statement mitten in der Stadt. 

Wie schon die Synagoge in Dresden ist sie eine Symbiose europäischer und orientalischer Stile, sie zitiert jüdische wie muslimische Einflüsse genauso wie protestantisch-christliche, definiert aber in ihrer Gesamtheit eine eigenständige Definition modernen Judentums. 

Mit ihrem Längsschiff und der Platzierung des Almemor vor dem Thoraschrein gleicht sie protestantischen Kirchen. Auch in der Benutzung der deutschen Sprache in der Liturgie, dem Einsatz einer Orgel und einem gemischten Chor gibt es Parallelen zwischen reformiertem Judentum und Protestantismus. 

Die Integration maurischer Elemente, bei denen man sich teilweise bewusst an der Alhambra in Andalusien orientierte, erinnert an die Blüte jüdischer Philosophie in Europa.  

Am Tag nach der Einweihung am 05.09.1866 schreibt die “National Zeitung”: 

„Das neue Gotteshaus ist ein Stolz der jüdischen Gemeinde Berlins, aber noch mehr, es ist eine Zierde der Stadt, eine der beachtenswertesten Schöpfungen der modernen Architektur im maurischen Stil und eine der vornehmsten Bauunternehmungen, die in den letzten Jahren die norddeutsche Residenz ausgeführt hat und ein märchenhaftes Bauwerk, das inmitten eines recht nüchternen Stadtteiles unserer Residenz uns in die phantastischen Wunder einer modernen Alhambra mit den anmutigen leichten Säulen, den schwunghaften Rundbögen, den farbenreichen Arabesken, den mannigfachen gegliederten Schnitzwerk, mit all den tausendfähigen Zauber des maurischen Stils einführt.“ 

Nach Zerstörungen in der Nazizeit und durch den zweiten Weltkrieg wurden Teile der Synagoge in der DDR gesprengt. Anlässlich des 50. Gedenktages an die Reichspogromnacht wurde 1988 noch vor der Wende begonnen, das Gebäude zu restaurieren. Die repräsentative Straßenfront und die Kuppel wurden vollständig renoviert. 1995 konnte das Gebäude wieder eröffnet werden und fungiert nun als “Centrum Judaicum”. Eine Dauerausstellung und wechselnde Sonderausstellungen widmen sich der Geschichte des Hauses und der jüdischen Gemeinde in Berlin. 

Zum Weiterlesen: 

Kathrin Wittler, Morgenländischer Glanz – Eine deutsch-jüdische Literaturgeschichte (1750 –1850), Tübingen, 2019 im Internet unter: https://www.academia.edu/38017481/Morgenl%C3%A4ndischer_Glanz_Eine_deutsche_j%C3%BCdische_Literaturgeschichte_1750_1850_T%C3%BCbingen_Mohr_Siebeck_2019 

Hannelore Künzl: Islamische Stilelemente im Synagogenbau des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, In: Judentum und Umwelt. Band 9. Frankfurt am Main, 1994, S. 318 ff. 

Valentin Hammerschmidt, Ein Gewürz des modernen Lebens – Orientalisierende Architektur in Sachsen und ihr Kontext, (Ringvorlesung „Islamische Kunst in Europa, in Deutschland und in Dresden“, 02.07.15) Im Internet unter: https://www.academia.edu/40009784/Ein_Gew%C3%BCrz_des_modernen_Lebens_Orientalisierende_Architektur_in_Sachsen_und_ihr_Kontext  

 Harold Hammer-Schenk: Synagogen in Deutschland. Hamburg 1981 

 Peter Schwarz, Harold Hammer-Schenk (Hrsg.), Die Architektur der Synagoge, Frankfurt 1988 

 Franz-Pascha, Julius: Die Baukunst des Islam. Darmstadt, 1896 

Zeichnungen der Neuen Synagoge Berlin: 

Gustav Knoblauch, Die Neue Synagoge in Berlin in Zeitschrift für das Bauwesen, Blatt 1-6 Ausgabe 16, 1866 https://digital.zlb.de/viewer/image/15244658_1866/9/LOG_0012/ 

Bildnachweis:  

Die Neue Synagoge in Berlin 

public domain by wiki commons. 

https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Neue_Synagoge,_Berlin-Mitte,_160328,_ako.jpg 

Fotograf: Ansgar Koreng 

Stichworte/Glossar: 

Architektur der Romanik 

Die romanische Architektur begann um 950 und war bis 1150 der vorherrschende Stil in Europa. Typische Merkmale sind Rundbögen, wuchtige Wände und einfache geometrische Grundrisse.   

Architektur der Gothik 

Gotik ist eine europäische Architekturepoche, die ca. von 1150 bis 1500 vorherrschte. Charakteristisch ist eine Durchbrechung der Außenwende durch Fenster sowie eine Reduktion von Wandstärke und Gewölbeflächen. Dies wurde durch moderne Statik und filigrane Stilelemente, wie die typischen Spitzbögen erreicht.  

Reichspogromnacht 

Die jährlichen Feiern der Nationalsozialisten zum Jahrestag des Hitlerputsches (09.11.1923) und die Ermordung des deutschen Botschafters in Paris durch einen jüdischen Widerstandskämpfer führten am 09.11.1938 zu einem bisher nicht dagewesenen Ausbruch von Gewalt gegen Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Über 7.000 Geschäfte jüdischer Einzelhändler wurden zerstört, Wohnungen jüdischer Nachbarn verwüstet und geplündert. Synagogen wurden in Brand gesteckt und teilweise gesprengt. Nach offiziellen Angaben wurden 91 Menschen ermordet. Schätzungen gehen eher von 1.300 Menschen aus, die in dieser Nacht, oder als Folge davon getötet wurden. 

Das Naziregime offenbarte spätestens in dieser Nacht sein barbarisches Gesicht. Die Reichspogromnacht wurde zu einer Wende, die in der systematischen Vernichtung jüdischen Lebens mündete.