Als das Deutsche Reich die Vertreter aller Europäischen Großmächte 1878 nach Berlin zu einem Kongress lud, um den Russisch-Osmanischen Krieg zu beenden und den Balkan neu zu ordnen, war einer der drei osmanischen Verhandlungsführer ein gebürtiger Deutscher.
Es handelte sich um Mehmet Ali Pasha, der am 18. November 1827 als Ludwig Carl Friedrich Detroit in Magdeburg, das damals zu Preußen gehörte, geboren wurde.
Detroit war Sohn eines Kammermusikers hugenottischer Abstammung. Hugenotten waren protestantische Franzosen, die Ende des 17. Jahrhunderts vor der religiösen Verfolgung in Frankreich flohen und in großer Zahl in Preußen Zuflucht fanden.
Den kleinen Ludwig zog es schon früh in die Ferne. Nachdem er die mittlere Reife abgebrochen hatte, begann er zunächst eine kaufmännische Lehre. Auch diese brach er ab, verließ mit ca. 14 Jahren heimlich seine Heimatstadt und heuerte auf einem Handelsschiff als Schiffsjunge an.
Mit 16 schließlich floh er abermals und desertierte mit einem Sprung ins Meer von seinem Schiff, das sich gerade vor Istanbul befand. Ob die Flucht vor dem Dienst auf dem Schiff oder die Sehnsucht nach dem Orient sein Motiv war, ist nicht bekannt.
Aus dem Meer gefischt wurde er von dem späteren Großwesir Mehmed Emin Ali Pascha. Mehmed Emin war eine der führenden Figuren der Tanzimat-Bewegung, die die umfassende Modernisierung des Osmanischen Reiches einleitete. Dieser sah etwas in dem jungen Detroit und sorgte sich um seine Ausbildung.
Moment mal! Tanzimat? Als Tanzimat (deutsch Neuordnung) wird eine Reformperiode im Osmanischen Reich des 19. Jahrhunderts (von 1839 – 1876) bezeichnet, in der man versucht hat, das Reich nach europäischen Vorbildern zu reformieren und auf der anderen Seite vor europäischer Einflussnahme zu schützen. Die Reformen betrafen vor allem die Modernisierung der Verwaltung und des Militärs.
Ludwig lernt fließend Türkisch, konvertiert zum Islam und trägt fortan den Namen seines Retters und Förderers Mehmet Ali. Seine Konversion zum Islam führte zu Protesten der preußischen Gesandtschaft in Istanbul, dies wird jedoch weitgehend von den Osmanen ignoriert.
Mehmet absolviert eine Kadettenschule, tritt in das Militär ein und macht eine beeindruckende Karriere. Nach Einsätzen im Krimkrieg, Montenegro und Kreta steigt er 1865 zum Brigadegeneral auf und erhält den Ehrentitel Pascha. 1877 steigt er abermals auf zum Muschir (Marshall) und wird Oberbefehlshaber in Bulgarien. Aufgrund seiner Herkunft und Sprachkenntnisse sandte ihn das Osmanische Reich zum Kongress nach Berlin.
Dort stieß er jedoch auf große Ablehnung. Otto von Bismarck, der den Kongress leitete, nannte seine Entsendung eine „Taktlosigkeit“. Die Mehrheit des deutschen Generalstabs lehnte den – aus ihrer Sicht – Abtrünnigen ebenfalls ab. Auf einem Gemälde von Anton von Werner, dass die Schlusssitzung des Berliner Kongresses festhält, steht Mehmet Ali Pasha abseits am rechten Rand. Das Gemälde ist heute im roten Rathaus in Berlin zu sehen.
Kurz nach seiner Rückkehr von Berlin wird Mehmet Ali Pasha am 7. September 1878 in Gjakova im heutigen Kosovo von Aufständischen ermordet. Er wurde nur 50 Jahre alt.
Er hinterließ seine Frau und vier Töchter. Eine dieser Töchter, Leyla Hanim, ist die Großmutter mütterlicherseits des türkischen Nationaldichters Nazim Hikmet.
Aber auch Mehmet Ali Pasha dichtete schon. Eines seiner Gedichte wurde 1878 sogar in der Magdeburger Zeitung veröffentlicht:
Die Rose von Jerichow
Geliebte, wenn einst gebrochen mein Herz
Nicht mehr für dich kann schlagen
Und dunkle Zypressen epheuumrankt
Über meinem Grabe ragen,
So will ich liegen und warten, bis
Man auch Dich in die Erde wird legen,
Doch dann soll mein vermodert Gebein
Tief unten noch einmal sich regen.
Und so oft von Deinem Grabe der Wind
Wird ein wenig Erde mir bringen,
Soll von meines Herzens Asche herauf
Ganz leise ein Klagelied klingen.
Zum Weiterlesen:
https://www.deutsche-biographie.de/sfz9771.html
https://paschamd.jimdo.com/biographien/mehmed-ali-pascha/
https://www.malumatfurus.org/nazim-hikmetin-dedesi-yahudi/
Bildnachweis:
Ausschnitt des Bildes „Der Berliner Kongress 13. Juli 1878“ von Anton von Werner
Abgebildet sind von links nach rechts: im Vordergrund Gyula Graf Andrassy (Österreich-Ungarn), Otto von Bismarck (Deutsches Reich) und Graf Pjotr Andrejewitsch Schuawlow (Russland). Am rechten Tisch mit rotem Fes die Osmanische Delegation mit Sadullah Bey, Alexander Caratheodory Pasha und Mehmet Ali Pasha
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