1925: Die älteste heute noch bestehende Moschee

von | 2022 | Muslimische Spur

Die erste von Muslim:innen erbaute Moschee im Deutschen Reich entstand in den 1920er Jahren. Die im ersten Weltkrieg von der Wehrmacht für Kriegsgefangene erbaute Moschee in Wünsdorf/Zossen wurde noch vom „Verein zur Unterstützung russisch-muslimischer Studenten” unter der Leitung von Alimcan Idris und Hafiz Sükrü betrieben, lag aber weit vor den Toren von Berlin.

In Berlin lebten damals rund zwei- bis dreitausend Muslime. Neben Geflüchteten aus der Sowjetunion, Kaufleuten und Diplomaten sind es mehr und mehr junge Akademiker, die Deutschland für sich entdecken, hier studieren oder eine neue Heimat finden. 

Nach einem Gespräch mit dem deutschen Muslim Dr. Khalid Banning wendet sich der indische Aktivist Abdul Sattar Kheiri 1920 über einen Zeitungsartikel an die Muslim:innen in Indien und wirbt um Unterstützung für den Aufbau muslimischer Strukturen in Deutschland.  

Abdul Sattar Kheiri und sein Bruder Abdul Jabbar Kheiri waren prominente Vertreter des indischen Unabhängigkeitskampfes. Abdul Jabbar gilt als der erste, der eine Zwei-Staaten-Lösung, also die Trennung Indiens in einen muslimischen und einen hinduistisch geprägten Staat propagierte. 

Die Kheiri Brüder promovieren in Berlin und sehen im vom Krieg zerrütteten Deutschland ein großes Bedürfnis nach spirituellen Alternativen. Sie hoffen außerdem dem negativen Bild des Islam, vor allem von Seiten der britischen Propaganda, ein positives Bild entgegenzusetzen. Kheiri schreibt: „Deutschland ist in einer viel besseren Position, im Innersten die wahre Realität von falscher und grundloser Propaganda zu erkennen.“ Er sieht im Deutschen Reich die Chance für eine „Hinwendung zu einer Ordnung innerhalb einer neuen Ära von Frieden und Weiterentwicklung“. 

Abdul Jabbar Kheiri gründet mit Anderen 1922 die „Islamische Gemeinde zu Berlin e.V.“ (IGB) und schafft damit eine der ersten Institutionen, die den Muslim:innen in Berlin unabhängig von ihrer Herkunft eine Vertretung geben. 25% der Mitglieder sind gebürtige Deutsche.  

Gehör finden die Berliner Muslim:innen bei der Gemeinschaft der indischen Lahore-Ahmadiyya, die damals bereits in Woking, vor den Toren Londons, eine Mission unterhält. Die Ahmadiyya sendet den Geistlichen Sadr ud-Din nach Berlin mit dem Ziel eine Mission einzurichten. 

Sadr du-Din gründet ebenfalls bereits 1922 eine Vereinigung mit dem Namen „Islamische Gemeinde Berlin“ (ohne das Wörtchen „zu“) in Berlin-Charlottenburg. Erster Sitz ist die Giesebrechtstr. 5. Dort fanden auch regelmäßige Treffen statt. Im Ramadan 1923 trifft man sich dort beispielsweise zu den täglichen Nachtgebeten (Terawih). 

Der Lahore-Ahmadiyya gelingt es, bedeutende Spendeneinnahmen zu generieren, so dass bereits im Juli 1923 ein Grundstück gekauft werden kann. 1924 erfolgt die Grundsteinlegung für den Bau einer Moschee und eines Missionshauses. 

Der Erfolg Sadr ud-Dins führt bald zu Konflikten mit den Kheiri Brüdern, die ihre Pläne einer panislamistischen Bewegung in der Leitung der Moschee durch eine Splittergruppe gefährdet sehen. Sie werfen der apolitischen Missionsbewegung gar Kollaboration mit den britischen Kolonialherren vor.  

Trotz dieser internen Konflikte gelingt es der Ahmadiyya die noch nicht ganz fertige Moschee am 16. April 1925 zu eröffnen. Endgültig fertiggestellt wurde die Moschee jedoch am 3. März 1928. 

Die Moschee avanciert zum Zentrum des muslimischen Lebens in Berlin. Das Erfolgsgeheimnis der Gruppe ist von Anfang an, die Offenheit allen Religionen gegenüber und die Ausrichtung auf die Deutsche Gesellschaft. Es gelingt ihnen sehr schnell, fähige deutsche Neu-Muslim:innen in die Führung ihrer Mission einzubinden. Zwischen 100 und 500 Deutsche sollen hier in den 20er und 30er Jahren den Islam angenommen haben. Die Ahmadis sind aktiv durch Vorträge in deutscher Sprache und Publikationen. Ihre Zeitschrift „Moslemische Revue” erscheint von 1924 bis 1940. 

Chefredakteur der Moslemischen Revue ist ab 1927 Dr. Hugo Hamid Marcus. Regelmäßig veranstaltet er islamische Abende in der Moschee, bei denen er selbst referiert. Diese Abende ziehen zahlreiche Intellektuelle an, unter ihnen auch Prominente wie Hermann Hesse und Thomas Mann. Die Berichterstattung über diese Abende in der Berliner Presse erreicht ein breites Publikum. Hamid Marcus erreicht sogar, dass ein Festtagsgebet aus der Moschee 1931 live im Rundfunk übertragen wird. 

Für Hamid Marcus ergibt sich der Islam auch aus der Deutschen Philosophie. 1926 schreibt er in einem Artikel über „Nietzsche und der Islam”: „Der Islam ist Teil der Deutschen Kulturgeschichte”. 

Marcus ist ein typisches Beispiel für einen Vertreter eines Deutschen Islam seiner Zeit. Vieles was er schrieb, ist auch heute noch hoch aktuell. 

Er ist nicht der einzige Vertreter dieser Gruppe. Unter den Autoren der Moslemischen Revue finden sich weitere Neu-Muslime, prominente Namen sind beispielsweise Omar Rolf von Ehrenfels oder Omar Schubert. Aber auch Autoren mit Migrationshintergrund. 

Allen Autoren ist gemeinsam, dass sie nicht nur von einer Vereinbarkeit der Religion mit bürgerlichen Idealen sprechen, sondern diese Ideale bereits genuin im Islam verankert sehen. Der deutsche Historiker David Motadel erwähnt in einem Artikel über die islamische Bürgerlichkeit dieser Zeit folgende Themen, die in der Moslemischen Revue behandelt werden: die hohe Bedeutung von Bildung, ein positives Verhältnis zur Wissenschaft, die Notwendigkeit von Selbstreflexion, die Verpflichtung zu Fleiß und Arbeit, aber auch die Einhaltung von Regeln zu Reinlichkeit, Sittlichkeit, Bescheidenheit, Mäßigung und Sparsamkeit.  

Imam der Moschee nach deren endgültigen Fertigstellung wurde im März 1928 Dr. Muhammad Abdullah. Unter seiner Leitung erlebte die Moschee ihre erfolgreichste Zeit. Am 28. März 1930 firmierte die islamische Gemeinde neu unter dem Namen „Deutsch-Muslimische Gesellschaft e.V.“. Vorstand des Vereins war Dr. Hugo Hamid Marcus.  

Neben Gottesdiensten, Vorträgen über den Islam und Koranunterricht entspann sich ein reges gesellschaftliches Leben. Vorstandsmitglied Emilie Öttinger organisierte regelmäßige Wandertage. Zu den Freizeitaktivitäten gehören aber auch Tennisturniere und Gartenfeste. 

Der Verein nimmt auch (außerordentliche) Mitglieder auf, die sich nicht zum Islam bekennen. Der Imam spricht von 1500 „Freunden des Islam“, die am Vereinsleben teilnehmen. Es ist eine sehr bunte Mischung von Menschen. Handwerker, Adlige, Feministinnen, Werte-Konservative, Esoteriker, Agnostiker, Christen, Juden, Liberale, aber auch Nationalisten, die mit dem aufkommenden Nationalsozialismus sympathisieren. 

Nach der Machtergreifung der Nazis gerät die Moschee ins Visier der Partei und der Gestapo. In einem Schreiben an den Polizeipräsidenten am 13. April 1937 heißt es, dass der Verein ein „Unterschlupf reaktionärer Elemente“ sei, bei dem sich Mitglieder, wenn sie „glauben unter sich zu sein, abfällige Bemerkungen über den Nationalsozialismus und den Führer“ machen. Man empfiehlt daher das Verbot der Organisation. 

Insbesondere wirft der Schreiber dem Verein vor, als „Unterschlupf“ von „Kurfürstendammjuden“ zu sein. In der Tat scheint die Moschee in den Jahren 1933 bis 1939 zahlreichen Juden Übertrittsurkunden zum Islam auszustellen, um sie vor der Verfolgung durch Nazis zu schützen und ihnen die Flucht ins Ausland zu erleichtern. 

Der Verein reagiert auf das drohende Verbot mit Satzungsänderungen und Wechseln im Vorstand. Der jüdisch-stämmige Hamid Marcus war schon 1935 aus dem Vorstand ausgetreten. Im neuen Vorstand nach 1938 finden sich nur noch regimetreue Mitglieder.  

In einem Schreiben vom 22. April 1939 stellt die Staatspolizei fest, dass die Bedenken ausgeräumt und nicht mehr erhoben werden. 

Ein bedeutendes Projekt der Jahre 1937 bis 1939 ist die Übersetzung des Koran. Es ist die erste Übersetzung des Koran auf Deutsch durch Muslime. Vorlage war die Übersetzung von Sadr du-Din ins Englische. 

Mithilfe einer Redaktion deutscher Orientalisten erfolgt nun die Übertragung ins Deutsche. Im Hintergrund übernimmt Hamid Marcus eine leitende Funktion im Lektorat. 

Obwohl er in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 bereits verhaftet worden war und rund sechs Monate im KZ-Sachsenhausen verbracht hatte, wartet er mit seiner Ausreise, bis die Übersetzung vollendet ist. 1939, kurz vor Kriegsausbruch, flieht er schließlich in die Schweiz. 

Auch Imam Muhammad Abdullah kehrt im November 1939 nach Indien zurück. 

Um die Pflege der Gebäude abzusichern, wird das Missionshaus an die protestantische Familie Gaedicke vermietet, die mindestens bis 1942 auch dort wohnt. 

Die Moschee wird in den Kriegsjahren vor allem genutzt, um muslimische Soldaten und Muslime aus anderen Ländern in Berlin seelsorgerisch zu betreuen. An Festtagen spricht unter anderem der mit den Nazis verbündete Großmufti Amin Al-Husseini Predigten. 

Die eigentliche Gemeinde verliert durch den Krieg und durch Flucht die meisten ihrer Mitglieder. Von einer kleinen Gruppe von neun jungen Deutschen, die sich als „Tarika Mohamedija“ 1942 zusammengeschlossen hatte, überleben nur Achmed Mosler und Muhammad Aman Hobohm, der nach dem Krieg erster deutscher Imam der Gemeinde wird. 

Er würdigt in einem Bericht über diese Zeit vor allem die Mutter seines Freundes Achmed: „Amina Mosler hat sich – und das sei hier ausdrücklich vermerkt – in den letzten Kriegsmonaten und in den ersten Jahren nach Kriegsende mehr als irgend jemand anders um die Moschee und um die Neubegründung eines muslimischen Gemeindelebens mit der Moschee im Mittelpunkt verdient gemacht. Sie hütete die Moschee wie ihren Augapfel. Sie überwachte die ersten Wiederaufbauarbeiten und sie vertrat die Eigentümerin des Grundstücks und der darauf errichteten Gebäude gegenüber deutschen und alliierten Dienststellen. Und sie, die wir Umm Ahmed nannten, wurde auch zur Umm, zur Mutter, der neuen kleinen, ach so kleinen Moschee-Gemeinde, stets bemüht zu helfen und die vielen und vielfältigen Nöte zu lindern, unter denen die Brüder und Schwestern litten, und die die damalige Zeit kennzeichneten.“ 

Über die Moschee schreibt er: „Und als ich die Moschee dann wiedersah, im Frühjahr 1948, aus Anlass einer Gedächtnisfeier für den am 30.1.1948 ermordeten indischen Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi, da war sie schwer gezeichnet von den Wunden, die ihr der Krieg geschlagen hatte. Beide Minarette waren zur Hälfte zerstört. Die Außenwände waren besät mit Einschusslöchern und gezeichnet von Splittern von Granaten und Bomben. Nur die Kuppel, die einen Artillerievolltreffer erhalten hatte, war bereits wieder neu erstanden, jetzt gekrönt von einem von der bekannten Berliner Mosaikwerkstatt Puhl & Wagner gestifteten, und von dem deutschen Muslim Mustafa Konieczny entworfenen, in Goldmosaik ausgeführten Halbmond – ein Prachtstück, das auch heute noch bewundert werden kann.“ 

Die Moschee verliert trotz eifriger Bemühungen nach dem Krieg an Bedeutung. Dies hängt zum einen an der sinkenden Bedeutung der Lahore-Ahmadiyya weltweit. Zum anderen am Zuzug von Muslim:innen aus der ganzen Welt nach Deutschland, die eigene Strukturen aufbauen. 

Trotzdem gelingt es, die Moschee in mehreren Anläufen wieder in Stand zu setzen. Zuletzt auch mit Unterstützung der Deutschen Denkmalpflege, so dass sie nun rechtzeitig zum 100-jährigen Bestehen in neuem Glanz erstrahlt. 

Zum Weiterlesen: 

Backhausen, Manfred, Die Lahore-Ahmadiyya-Bewegung in Europa, Berlin 2008 http://berlin.ahmadiyya.org/books/aaiil-europe.htm 

Motadel, David »Islamische Bürgerlichkeit – das soziokulturelle Milieu der muslimischen Minderheit in Berlin 1918-1939«. In: Brunner / Lavi, Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität, Göttingen, 2009. S. 103-121. 

Baer, Marc David , German, Jew, Muslim, Gay – The Life and Times of Hugo Marcus, New York, 2020 

Jonker, Gerdien, Etwas hoffen muss das Herz – Eine Familiengeschichte von Juden, Christen und Muslimen, Göttingen, 2018 

Jonker, Gerdien, The Dynamics of Adaptive Globalisation – Muslim Missionaries in Weimar Berlin https://er.ceres.rub.de/index.php/ER/article/view/151/8271 

David Motadel »Islamische Bürgerlichkeit – das soziokulturelle Milieu der muslimischen Minderheit in Berlin 1918-1939«. In: BRUNNER/SHAI 2009: 103-121. 

Majid Hayat Siddiqi, Bluff, doubt and fear: The Kheiri Brothers and the colonial state 1904 – 1945 

 

Bildnachweis:

Moschee Wilmersdorf, Foto der Bildungsreise