Liebe geht durch den Magen! Und so sind kulinarische Genüsse oft die effektivsten „Botschafter” eines Kulturaustauschs. Nach dem Kaffee ist es ein Fleischspiess aus Anatolien, der sich am stärksten in der deutschen Alltagskultur etabliert hat – der Döner.
Effektiver als manche Dialogveranstaltung konnte das beiläufige Gespräch im Döner-Laden Vorurteile abbauen helfen. Dies gilt auch oder vielleicht noch mehr für die sogenannten neuen Bundesländer. Hier war nach dem Mauerfall der „Döner-Mann” meist der erste Türke, den man kennenlernen konnte.
Allerdings hat es viele Jahre gebraucht, bis der Döner wirklich in Deutschland angekommen ist. Anfangs wird er eher als Symbol einer orientalischen Kultur gesehen. Mitunter sogar als ein Teil einer Parallelgesellschaft.
Als es zwischen 2001 und 2006 zu einer Serie von rassistisch motivierten Morden in Deutschland kam, bürgert sich ab 2005 das Wort „Döner-Morde” ein, das in allen Leitmedien wiederholt wird. Der „Döner” stand für die Diskriminierung der Opfer aufgrund ihrer Herkunft und die Vermutung, dass auch die Täter in diesem Milieu zu suchen seien.
Erst als sich 2011 die Täter selbst entlarven und der wahre Hintergrund offenbart wird, wird „Döner-Mord” zum Unwort des Jahres erklärt.
Wie falsch die Einordnung des „Döner im Brot” als Teil einer orientalischen Kultur ist, zeigt auch ein Blick in seine Entstehungsgeschichte, denn das beliebte „Fast Food” war eine Erfindung in Deutschland.
Vermutlich der erste der auf die Idee kam aus einer orientalischen Spezialität, die nur an besonderen Tagen zubereitet wurde, einen schnellen Imbiss zu machen, war Kadir Nurman.
In einem Interview sagte er: „Deutschland ist ein Arbeitsland, da wollen viele schnell im Laufen was essen.”
Und so kommt er darauf, Fleisch einfach in ein Brötchen zu packen. Der erste Döner im Brot war jedoch noch wesentlich puristischer als heutige Variationen. „Bei mir war das nur Hackfleisch vom Kalb und Rind, Zwiebeln und ein bisschen grüner Salat” berichtet Kadir Nurman. Verkauft wurde das Brötchen für 1,50 D-Mark.
Nurman (1933 – 2013) war bereits 1960 nach Stuttgart und 1966 nach Berlin gekommen. Er arbeitete zunächst als Monteur für Druckmaschinen. Anfang der 1970er Jahre machte er sich mit einem Imbiss in der Hardenbergstrasse (gegenüber des Bahnhof Zoo) selbstständig und 1972 macht er seine bahnbrechende „Erfindung“.
Er ist nie auf die Idee gekommen, sich „Döner im Brot“ patentieren zu lassen und erst 2011 zeichnet der Verein Türkischer Dönerhersteller in Europa (ATDID) ihn für sein Lebenswerk aus.
Kadir hatte viele Nachahmer. 16.000 Döner-Läden gab es schon im Jahr 2011. 60.000 Arbeitsplätze sichert die „Döner-Industrie”, 3,5 Milliarden Euro werden jährlich erwirtschaftet und mit rund 3 Millionen alleine in Deutschland täglich verzehrten Portionen ist der „Döner im Brot” das beliebteste Fast Food der Deutschen.
Der Döner wird seit 2007 sogar im deutschen Schlager besungen. „Ich bin ein Döner” singt man auf Schlagerpartys, im Karneval und in Bierzelten. „Döner macht schöner” ist seitdem eine bekannte Deutsche Redewendung.
Den teuersten Döner Deutschlands gibt es vermutlich im Berliner Hotel Adlon. Im Sommer 2022 konnte man den „Döner im Brot a la Adlon” mit Filetstreifen vom Kalbsrücken, Salat, Kraut, Tomaten, roten Zwiebeln, einer speziellen Trüffelcrème und frisch gehobeltem Trüffel für 29 Euro genießen. Der Döner ist somit auch im kulinarischen Olymp in Deutschland angekommen.
In der türkischen Esskultur steht der Drehspieß ohnehin für „Slow Food” und hochwertiges Essen. Ob als Tellergericht „Iskender” mit Joghurt und Tomatensauce oder als Cag Kebab aus Erzurum (Scheiben von der Lammkeule horizontal am Spieß am offenen Feuer geröstet).
Der „Döner im Brot” steht, wie sein kulinarischer „Ur-Großonkel” der Filterkaffee (als „eingedeutschte Form” des türkischen Kaffees), für den modernen Lebensstil.
Seine muslimische Herkunft erkennt man noch an der Wahl von Rind und Lammfleisch, die zunehmend auch “Halal” also nach muslimischen Regeln geschlachtet werden.
Schnell („auf die Hand”), günstig und reichlich („mit Alles”) symbolisiert er eher die deutsche Leistungsgesellschaft als orientalische Esskultur. In den USA und in China wird er sogar als “Deutscher Döner” bezeichnet.
Erst deutsche Tourist:innen sorgen mit ihrer Nachfrage dafür, dass sie den Döner, „wie zu Hause” auch in der Türkei erhalten.
Der Döner ist ein schönes Symbol für die Vermischung von Orient und Okzident. Denn vieles, was wir für orientalisch halten, ist „deutscher” als wir denken.
Zum Weiterlesen:
Eberhard Seidel, Döner Eine türkisch-deutsche Kulturgeschichte,
Leseprobe: https://www.maerzverlag.de/wp-content/uploads/2022/01/MAERZ_Seidel_Doener_Leseprobe.pdf
Döner Kebab: Deutschlands berühmteste kulinarische Erfindung wird fünfzig, NZZ 20.04.2022
Echt nur mit Salat und Zwiebeln – Interview mit dem Döner Erfinder Kadir Nurmann, Frankfurter Rundschau 20.09.2011
https://www.fr.de/panorama/echt-zwiebeln-salat-11434861.html
Der Erfinder des Döner ist tot – Kadir Nurman stirbt mit 80 Jahren, n-tv 26.10.2013
http://www.n-tv.de/panorama/Der-Erfinder-des-Doener-ist-tot-article11613176.html
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