1999: Ein Symbol für über 225 Jahre muslimische Präsenz in Berlin –  Die Sehitlik Moschee 

von | 2023 | Muslimische Spur

Besucht man die Şehitlik (gelesen: Schehitlik) Moschee am Columbiadamm in Berlin, fühlt man sofort die historische Dimension des Ortes. Eine Moschee, die 1999 im „Neo-Osmanischen“ Stil erbaut wurde.  

Die Besucher:innen werden auf eine Zeitreise in die Blütezeit osmanischer Architektur des 16./17. Jahrhunderts geschickt. Nicht nur Zentralkuppel und Minarett zitieren die osmanische Bauweise, sondern auch die Nebengebäude mit ihren charakteristischen Erkern und die Innenarchitektur verweist auf diesen Stil.  

Erfährt man mehr über den Standort der Moschee, dann wird die historische Anmutung verständlich.  

Die Moschee steht auf dem Gelände des muslimischen Friedhofs, der sich seit 1866 an dieser Stelle befindet und auf einen Friedhof von 1798 zurückgeht (siehe 1691: Muslime in deutscher Erde). 

Das älteste Grab, das sich nach seiner Umbettung direkt vor der Moschee befindet, ist das Grab von Ali Aziz Efendi, dem ersten ständigen Botschafter des Osmanischen Reiches in Preußen. 

Diese Moschee steht also symbolisch für über 225 Jahre osmanisch-türkische Präsenz in Berlin. Nimmt man ihre „Einladung” an, sich mehr mit der Geschichte der osmanisch-türkischen Community in Berlin auseinanderzusetzen, stößt man auf viele verschiedene Geschichten. 

Neben dem Schriftsteller, Diplomaten und weltgewandten Mystiker Ali Aziz Efendi stoßen wir beispielsweise auf Hafiz Şükrü (gelesen: Schükrü), den letzten „Obergeistlichen” der osmanischen Botschaft und ersten „Botschaftsimam” der türkischen Botschaft in den 1920er Jahren, der ebenfalls auf dem Grabfeld vor der Moschee beerdigt ist. 

Ünyeli Hafiz Şükrü Efendi (16.9.1871 – 7.3.1924) war Imam der Ortaköy Moschee in Istanbul, als er 1913 an die osmanische Botschaft in Berlin entsandt wurde. 

Er fand sich sehr schnell im Deutschen Reich zurecht und verstand es, vorhandene Strukturen zu nutzen und auszubauen. So setzte er sich beispielsweise für die Renovierung der sogenannten „Gartenmoschee” in Schwetzingen ein.  

Schnell begann er sich auch um den Friedhof am Berliner Columbiadamm, der seit 1866 wenig genutzt wurde, zu kümmern. Ein erstes Gebäude wurde bereits Anfang des ersten Weltkriegs vom Architekten Gustav Voigtel errichtet, um Totenwaschung und Totengebet besser organisieren zu können. Während des Krieges wurde der Friedhof zunehmend genutzt, um verstorbene osmanische Offiziere zu beerdigen, die in Berlin medizinisch betreut wurden. Der Friedhof erhielt den Beinamen Şehitlik Friedhof (Märtyrer-Friedhof). In den 1920er Jahren war er der zentrale Muslimische Friedhof Berlins, so dass auch zahlreiche prominente Muslime anderer Nationen hier beerdigt wurden. 

Auch bei der Betreuung der Moschee im Halbmondlager in Wünsdorf spielte Şükrü ab 1915 eine aktive Rolle. Und nach dem Krieg unterstützte er den „Verein zur Unterstützung russisch muslimischer Flüchtlinge”, der sich bis 1924 um den Erhalt der Moschee kümmerte.  

1921 gelang es Şükrü Efendi, den Friedhof am Columbiadamm durch Ankauf von 700qm Land zu vergrößern und das Gebäude des Friedhofes zu erweitern. Er beauftragte den Berliner Architekten Eisfelder mit dem Bau eines „Wach- und Wohnhäuschens” (Grundfläche 10,58 m x 9,35 m) und einer im maurischen Stil gestalteten Eingangspforte.  

Şükrü war an fast allen Aktivitäten von Muslimen Anfang der 1920er Jahre in Berlin beteiligt. Sein Name findet sich im Vorstand der 1922 von Abdul-Jabar Khairi gegründeten „Islamische Gemeinde zu Berlin e.V.” und der 1924 von Alimcan Idris und Zeki Kiram gegründeten „Gesellschaft für islamische Gottesverehrung e.V.”.  

Auch bei der Grundsteinlegung der Moschee der Ahmadiyya in Wilmersdorf 1923 war er dabei. 

1924 starb er und wurde auf dem muslimischen Friedhof beerdigt. Nach seinem Tod übernahm seine deutsche Ehefrau Nurihan Şükrü, geb. Schulz, die Pflege des Friedhofs. Nach deren Tod 1930 war es die Schwester von Nurihan, die sich viele Jahre um die Pflege des Friedhofs kümmerte. 

Auf dem allmählich verblassenden Grabstein von Sükrü liest man die Inschrift: Hier ruhet im festen Glauben an Gott mein lieber Mann, Obergeistlicher der Türkischen Botschaft und Gründer des Mohamedanischen Friedhofs Hafiz Schükri , geb. zu Unihej 1871, gest. 1924. Ihm folgte seine Frau Nurihan Schükri, geb. Schulz. 

Das Gelände war ab 1924 als „Kriegsgräberstätte” lange unter der Verwaltung des türkischen Verteidigungsministeriums. Der Friedhof erreichte jedoch schon im Laufe des zweiten Weltkriegs seine Kapazitätsgrenze, von den ursprünglich 220 Gräbern sind heute noch 150 erhalten.  

Nachdem sich wohl bis 1965 die deutsche Schwägerin von Şükrü um die Pflege der Gräber gekümmert hatte, übernahmen in den Quellen nicht näher benannte „türkische Arbeiter” ehrenamtlich die Pflege. 

Erst 1983 wurde begonnen, das Gelände aktiver zu nutzen und das Gebäude von Şükrü bis 1985 in eine Moschee mit Gebetsraum und Kuppel umzubauen. Das Gelände wurde übergeben an den größten türkisch-muslimischen Verband in Deutschland DITIB und 1999 wurde das Gebäude ersetzt durch den heutigen Bau, der 2005 als Moschee eingeweiht werden konnte.  

Der Gebetsraum der Moschee bietet heute Platz für 1500 Personen. Sie gilt laut Website des Tourismusverbands Berlin als „schönste Moschee Berlins”. 

Neben der Moschee entstanden inzwischen ergänzende Räume für Feierlichkeiten, Veranstaltungen, Schulungen und Verwaltung, die dem Bedürfnis nach einem Veranstaltungs- und Kulturzentrum Rechnung tragen. 

Mit dem architektonischen Stil der Moschee verweist DITIB auf die lange Geschichte der türkischen Präsenz in Berlin, sie bekennt sich zur sunnitischen Richtung des Islam.  

Zum Weiterlesen: 

Martin Klapetek, Şehitlik Mosque and the Islamic Cemetery at Columbiadamm: Islam in Public Space. Studia Religiologica, 2019, 52(1) 63-77.  

M. Ufuk Mistepe, Sefaret İmamı Ünyeli Mustafa Hâfız Şükrü Efendi, Ünye Tv vom 26.04.2019 

Idris Ertürk, Almanyada Unutulmuş Bir Camiimiz ve Şehitliğimiz,  

Alexa Färber, Riem Spielhaus, Beate Binder, Von Präsenz zu Artikulation: Islamisches Gemeindeleben in Hamburg und Berlin aus der Perspektive der Stadtforschung in Jahrbuch Stadt Region 2011/2012 Schwerpunkt Stadt und Religion Berlin 2012 

Albrecht Fuess, (Architektonische) Transparenz von Moscheen im Migrationskontext – Eine islamwissenschaftliche Perspektive in: Ömer Alkin, Mehmet Bayrak und Rauf Ceylan, Moscheen in Bewegung Interdisziplinäre Perspektiven auf muslimische Kultstätten der Migration, 2021 

Bildnachweis:

Titelbild: Sehitlik Moschee Berlin, public domain by wiki commons

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/6/64/Şehitlik_mosque_Berlin_by_ZUFAr.jpg/2560px-Şehitlik_mosque_Berlin_by_ZUFAr.jpg

Grabstein von Haifa Sükrü Foto: Michael Pfaff, SmF e.V. (2022)