“Sei Dir stets bewußt, daß der Islam eine hochstehende Religion ist, die dem Christentum in der Auffassung von Gott nicht nachsteht. Begegne daher dem Muslim mit der gleichen Achtung und Duldsamkeit, wie Christen verschiedener Konfessionen einander immer begegnen sollten.”
Dies sind die ersten Sätze einer Handlungsempfehlung, die an deutsche Soldaten, die in Ländern mit muslimischer Bevölkerung eingesetzt wurden, verteilt wurde.
Diese sogenannte „Tornisterschrift” erschien 1941 im Auftrag des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht. Tornister war ein Name für den Rucksack von Soldaten, eine „Tornisterschrift” ist also eine Schrift, die im Einsatz mitgeführt werden sollte.
Der Autor dieser Schrift war der Tropenmediziner Prof. Dr. Ernst Rodenwaldt, ein bis in die 1960er Jahre weltweit führender Malaria Experte. Er hat rund 21 Jahre in muslimischen Gebieten verbracht (vier Jahre in Westafrika, vier Jahre im Osmanischen Reich und 13 Jahre im heutigen Indonesien).
Auf nur 64 Seiten wirbt er um Verständnis für die Religion der Bevölkerung, mit der Wehrmachtssoldaten in bestimmten Gebieten zu hatten, den Islam. Er gibt praktische Handlungsempfehlungen, wie sich Soldaten dort benehmen sollten.
Aus seiner praktischen Erfahrung weiß Rodenwaldt, wie vielfältig der Islam ist und weist die Soldaten auch darauf hin, die lokalen Unterschiede zu berücksichtigen. Auch gängige Vorurteile über die Person des Propheten Muhammed oder die Gewalttätigkeit des Islam weist er entschieden zurück.
Er schreibt beispielsweise: „So ist es eine ganz irrige Vorstellung, wenn wir einmal im Geschichtsunterricht gelernt haben, der ‚Islam‘ sei ‚mit Feuer und Schwert‘ von den Arabern und Türken ausgebreitet worden. […] Dieser historische Irrtum [könnte] vielleicht praktisch für unsere Haltung in muslimischen Ländern gleichgültig sein, vorausgesetzt, dass wir unter seiner Suggestion nicht in jedem Muslim unseren natürlichen Feind sehen.“
Er ist dabei nicht unkritisch und sieht auch Mängel, beispielsweise in der „geringeren Rolle” der Frau. Seine Konsequenz ist aber nicht dazu aufzurufen Muslime zu überzeugen, ihre Haltung zu überdenken. Ihm geht es um den Respekt, den die deutschen Soldaten zeigen sollen.
Im Umgang mit muslimischen Frauen empfiehlt er: „Suche niemals durch Gruß oder Wort Beziehung zu gewinnen zu einer muslimischen Frau. Winke nie zu einem Fenster hinauf, sprich niemals eine Frau auf der Straße oder in einem Laden an.
Mußt du an einem muslimischen Haus eine Auskunft einholen, so klingle und klopfe, drehe dann aber der Tür den Rücken zu, damit du eine etwa öffnende Frau nicht ansiehst.”
Man könnte den älteren (zum Zeitpunkt der Tornisterschrift ist er bereits 61 Jahre alt), gebildeten und weitgereisten Mediziner für sein Ziel, Takt, Anstand und Respekt zu erwirken, loben. Man könnte hervorheben, dass er in gewisser Hinsicht seiner Zeit voraus war und manche Vorurteile, gegen die er vorzugehen versuchte, heute noch vorhanden sind.
Dennoch gehört zu einem vollständigen Bild auch, dass Rodenwaldt sich mit „Rassenhygiene” befasst hat. Er war schon sehr früh Mitglied in der Auslandsorganisation der NSDAP, er befürwortete die Apartheitsgesetze in Südafrika und die „Nürnberger Rassengesetze“.
Die Nazi-Diktatur hat sich lange wenig für muslimische Länder und den Islam interessiert. Es gab eine Absprache mit den befreundeten Italienern, dass Deutschland sich um Zentral- und Osteuropa kümmern sollte und Italien um den Mittelmeerraum.
Nordafrika und der Vordere Orient gehörten also zum italienischen Zuständigkeitsgebiet.
Die intensive Zusammenarbeit mit muslimischen Ländern im Ersten Weltkrieg ist schon fast vergessen, Veteranen des Ersten Weltkriegs, die im Orient gekämpft hatten, waren inzwischen schon in die Jahre gekommen. Man musste daher auf den über 60-jährigen Rodenwaldt zurückgreifen, um an bestehende Erfahrungen anzuknüpfen.
Rodenwaldt ist nur einer von vielen Veteranen, die von Auswärtigem Amt und der Wehrmacht wieder aktiviert werden. Schon 1938 beginnt man mit Vorbereitungen im Orient aktiv zu werden, die anfangs allerdings noch halbherzig und gegen den ausdrücklichen Befehl Hitlers erfolgten.
Dies beginnt sich erst 1941 zu ändern. Die Deutschen waren in den ersten zwei Kriegsjahren sehr erfolgreich und waren überzeugt, Russland schnell besiegen zu können.
Italien hatte mit dem Überfall auf Ägypten und Griechenland und in Äthiopien versucht, es den Deutschen gleich zu tun und ebenfalls militärisch zu expandieren. Dies allerdings mit mäßigem Erfolg, bzw. mit großen Niederlagen.
Im Auswärtigen Amt mehren sich die Stimmen, den Orient nicht den Italienern zu überlassen. Hitler vertraut jedoch Mussolini und schickt „unterstützende” Truppen. Allen voran das Deutsche Afrikakorps unter dem General Erwin Rommel.
Den Deutschen ist bewusst, dass sie die Unterstützung der Bevölkerung benötigen, wenn sie gegen die Engländer erfolgreich sein wollen. Es gilt also, die zivile Bevölkerung für sich zu gewinnen. Das deutsche Militär soll daher erkennbar anders auftreten als die Kolonialmacht England.
In diesem Zusammenhang beschließt die Heeresleitung, den Soldaten einen Leitfaden an die Hand zu geben, einen „Islam-Knigge”, der sie positiv auf muslimische Zivilisten einstimmt und Missverständnisse vermeiden soll.
Noch war nicht daran gedacht, dass Muslime auch auf der Seite der Deutschen kämpfen sollten, dies änderte sich jedoch sehr schnell im weiteren Kriegsverlauf.
Zum Weiterlesen:
Oberfeldarzt Prof. Dr. Ernst Rodenwaldt: „Der Islam“. Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Abt. Inland 1941 Heft 52
Stefan Weidner, Das Multikultibekenntnis der Wehrmacht, Cicero 13.05.2013
Manuela Kiminus, Ernst Rodenwaldt – Leben und Werk, Heidelberg 1987. Auszug im Internet unter: https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/3215/1/zusammenfassungdoktorarbeitmanuelakiminus.pdf
Bildnachweis:
Darstellung des muslimischen Gebets
Abbildung 1 in „Der Islam“. Tornisterschrift des Oberkommandos der Wehrmacht, Abt. Inland 1941 Heft 52